Davonfahren zwecklos

Motorrad-Fahrsicherheitstraining der Landespolizei Salzburg

Mein Kumpel, mit dem ich Interessen wie „Fatbikes“, „riesige Containerschiffe“ oder „Motorräder“ teile, hatte mich auf ein seit 3 Jahren laufendes Motorrad Fahrsicherheitstraining der Salzburger Landespolizei hingewiesen mit den passenden Worten: „Davonfahren zwecklos, da kannst di überzeugen“. In der Tat, nach meiner heutigen Teilnahme (es war insgesamt mein zweites Fahrsicherheitstraining überhaupt) möchte ich diese Aussage bestätigen. Zudem gab es bei diesem als Unfallprävention gedachten Training einen großen Lernschritt für mich. Und erstmals überhaupt konnte ich heute meine 2012er Honda NC700X sozusagen unter „Laborbedingungen“ fahren.
Aber kommen wir zunächst zum Wetter.

Anfahrt Fahrsicherheitstraining - Panorama
Anfahrt Fahrsicherheitstraining – Panorama

Nach den verregneten und teilweise eiskalten Pendlerfahrten der letzten Wochen erwartete mich heute ein Traumtag. Schon die Anfahrt zum Training an der Autobahnkontrollstelle Kuchl war unglaublich schön, sowohl was das Wetter betrifft, als auch in Bezug auf die vom Tomtom Rider 400 mit ein bisschen manueller Unterstützung errechnete Kurvenroute. Die Thumbnails unten kann man anklicken für große Bilder, die das hoffentlich wiedergeben.

Fahrsicherheitstraining – Teil 1

Jetzt wollte ich aber doch ein paar Worte zu der Veranstaltung loswerden. Mit der NC700X hatte ich in 4 Jahren abgesehen von normalen Straßentouren niemals irgendwelche Übungsfahrten oder gar motorsportliche Aktivitäten gehabt. Das bedeutet, daß ich das Fahrzeug eigentlich nicht gut kenne, verglichen mit meinen früheren teils motorsportlich genutzten Motorrädern. Zudem war ich nach langer Zeit ohne motorsportliche Aktivitäten wohl auch etwas eingerostet, wie sich zeigte.

An der Kontrollstelle Kuchl warteten bereits zahlreiche Teilnehmer (sonst wäre ich wohl an der eigens angelegten Autobahnausfahrt vorbeigefahren), sowie drei sympathische Herren der Salzburger Landespolizei, allesamt professionell mit der Motorradsparte betraut.

Ein Teilnehmer hat mir dieses hübsche Foto geschickt und mit netterweise die Verwendung im Blog gestattet:

Fahrsicherheitstraining Autobahnkontrollstelle Kuchl
Fahrsicherheitstraining Autobahnkontrollstelle Kuchl

Zunächst wurden von den Instruktoren gelbe Striche quer über Vorder- und Hinterreifen gemalt. Ok, no idea. Will man evtl. kontrollieren, ob jemand das Fahrzeug bewegt?
Und dann gab es als ersten Punkt eine Einweisung mit praktischer Übung beim Abnehmen des Helmes an verunglückten Motorradfahrern. Viele Motorradfahrer – und so auch ich – haben eine solche Situation bereits selbst (mit-)erlebt, und man kann wirklich froh sein, wenn man dann genau weiß, was man tut. Gute Sache. Zu sehen in folgendem Teilnehmerfoto, das ich hier mit freundlicher Genehmigung einstellen darf:

Fahrsicherheitstraining Kuchl - Helmabnahme
Fahrsicherheitstraining Kuchl – Helmabnahme

Dann ging es zu ersten Übungen, nämlich Slalom, Achterkurs und Handlingparcour mit Blickführung und Kurventechnik. Es versteht sich, daß all dies vom polizeilichen Profifahrer auf einer für meine Begriffe „vorsintflutlichen“ Polizei-BMW mit 300kg und vollem Ornat vorgeführt wurde, daß dir beim Hinschaun schon schlecht wird. Naja, ich habe das eh gewusst, aber man muß es wirklich erleben um es zu glauben. Wie gesagt: „Davonfahren zwecklos“.
Grundsätzlich sollten derartige Übungen für mich eigentlich kein Problem darstellen in Anbetracht meiner früheren Supermotoeinsätze. Dachte ich. Aber jetzt rächte sich meine mangelnde Praxis an technischen Fahrten mit der NC. Da halfen auch keine täglichen Wirtschaftsweg-Pendler-Rallyes, 700km Friaul-Kehrentouren oder diverse Schotterpassagen. Ich war total eingerostet.

Das erste Rätsel bestand nämlich bereits in der passenden Einstellung des DCT. Ich drückte zunächst planlos herum und fuhr langsam und eckig um die Hütchen herum. Erst nach der dritten Slalomfahrt offenbarte sich der S-Modus als mögliche Variante. Und erst jetzt konnte ich beginnen, an meiner eigenen Fahrweise zu feilen und eine runde und zügige Linie zu finden. Das sind dann bereits Übungen, wo man sich eine manuelle Kupplung vorstellen kann. Schwieriger wars beim Achter, wo man ohne manuelle Kupplung wirklich ein wenig aufpassen muss.

Aber das Kurventraining hat geklappt, und mit jeder Fahrt fühlte ich mich weniger eingerostet, bzw. setzte die NC mehr auf. Anfangs noch harmlos mit den Fussrasten, später beim Achterfahren als konstantes Schleifen in den Bögen, und zuletzt stellte ich fest, daß linksseitig der hintere Motorschutz-Plastikklotz bereits angeschliffen war. Rechtsseitig war es nicht so schlimm, weil Fußbremshebel und Fuß die Schräglage limitieren. Die Fußbremse sollte ggfs. das Tempo kontrollieren (insbes. wenn man wie ich keine manuelle Kupplung hat), und war dann bei starker Schräglage kaum mehr zu betätigen, weil man bereits am Boden auflag. Allerdings kam es dann später auch hier zu einem Showstopper, als dann noch der eigentlich schmale Akrapovic Schalldämpfer aufsetzte. Das Limit der NC war erreicht. Das teure Teil muß ich wirklich nicht ruinieren. Mit dem Serienschalldämpfer wäre sogar noch früher Schluß gewesen.

Hier sind Fotos des Veranstalters Landespolizei Salzburg, für die ich mich recht herzlich bedanke:

Fahrsicherheitstraining Kuchl - Handlingparcour
Fahrsicherheitstraining Kuchl – Handlingparcour
Fahrsicherheitstraining Kuchl - Handlingparcour Foto des Veranstalters
Fahrsicherheitstraining Kuchl – Handlingparcour
Foto des Veranstalters

Hier war nun der Punkt, als ich mir meine WR250R herbeigewünscht hätte, die bei solchen Schräglagen noch weit fern jedweden Limits wäre. Die Pilot Power Reifen der NC hätten übrigens auch noch einiges mehr vertragen. Achso, und jetzt klärte sich auch der gelbe Strich auf den Reifen: kein Indikator für unerlaubte Fahrzeugbewegung, sondern Schräglagentest: da war selbst an den Randbereichen nichts Gelbes mehr an Vorder- oder Hinterreifen der NC.

Mein Fazit aus der Vormittags-Session: die NC700X ist ein ausgezeichnetes Straßen- und Touringmotorrad, und dabei treten diese Limits praktisch nicht auf. Für forcierte Einsätze wie eben technisches Kurventraining oder gar Rennstreckenkurven kannst du es vergessen. Da fräst man sich recht schnell Teile vom Fahrzeug ab, die man eigentlich noch haben möchte.

Fahrsicherheitstraining – Teil 2

Ein sehr heikles Thema beim Motorradfahren ist das Gruppenfahren. Ich selbst mache sowas wenn überhaupt nur in absoluten Minigruppen (2-4 Personen) mit gut bekannten Leuten.
Die Polizei gab uns jedenfalls wertvolle Hinweise dazu, und im großen Korso konnten wir dann die Wiestalstrecke bis zum Gastagwirtn bei Eugendorf als Motorradgruppe unter Polizeischutz fahren, um ein fürstliches Mahl einzunehmen. Wer hätte das gedacht. Traumtag, super Training und dann noch so ein Mittagessen.
Naja, eigentlich esse ich nur sehr wenig, wenn ich konzentrierte lange Motorradfahren mache. Es ist ein bisserl unangenehm, wenn man sich nach einem opulenten Mahl als ohnehin vollschlanker[TM] Mensch in den glücklicherweise etwas geräumiger gewählten Lederanzug reinquälen muß. Naja, die Rückfahrt nach Kuchl erfrischte, und dann wurde es krass.

Fahrsicherheitstraining – Teil 3

Jetzt kam der wirklich spannende Teil für mich: das Bremstraining. Ich schätze das ausgezeichnete ABS der NC700X, und hatte eigentlich auf einen Nassparcour oder Schotter gehofft, um mit dem ABS im Training experimentieren zu können, so wie ich es ohnehin regelmäßig selbst tue. Aber nichts dergleichen. Nach einigen einfachen Einstiegsübungen kam es zu meiner Angstsituation: Die ABS-Gewaltbremsung auf warmem griffigem trockenem Asfalt. Rein in die Eisen, so stark man kann. [Bitte nochmals zur Verdeutlichung: es geht hier ausschließlich um Bremsungen mit aktivem ABS!]

Zu Beginn des Bremstrainings wurden übrigens die Teilnehmer in die Gruppen „mit ABS“ und „ohne ABS“ getrennt und im weiteren Verlauf dann gesondert behandelt.

Absolute Notbremsungen hatte ich in den bisherigen 4 Jahren mit der ABS-NC700X nicht. Bei gelegentlichen starken Bremsungen reichte mir die „selbstkontrollierte“ Bremsung immer aus. Eine trügerische Sicherheit, sofern man über ein nutzbares ABS im Fahrzeug verfügt, das war vollkommen klar. Bei Nässe oder anderweitig rutschigen Bedingungen hatte ich längst mit ABS experimentiert und es als sehr hilfreich empfunden, und sei es nur, um zu erkennen, daß erstaunlich viel Bremsung möglich ist, ohne dass es zum Regelvorgang kommt. Man kann sich im Experiment also viel einfacher ans Limit herantasten. Es bestand aber die große Unsicherheit, ob eine Trockenbremsung mit regelndem ABS nicht in einem Überschlag enden würde. Den Test hätte ich für mich alleine niemals ausgeführt. Warum stellt sich überhaupt diese Frage? In Extremsituationen, wenn es um jeden Meter geht, hast du keine Wahl. ABS erspart dir zumindest bei Geraden das Nachdenken, wie viel Grip der Straßenbelag grade bietet, ob es _wirklich_ trocken ist, ob zwischendurch nicht Dreck, Schotter oder Nässe vorhanden ist, und wie stark du denn eigentlich Anbremsen darfst ohne gleich abzugehen. Die (hoffentlich nie auftretende) reale Notsituation findet nicht unter definierten Bedingungen statt, sondern kommt mit komplexen Anforderungen und du willst nur schnell zum Stehen kommen. Dann gibt es kein Zögern.
Der Auftrag der Trainer lautete unmissverständlich: „sofort mit aller Kraft brutal in die Eisen gehen“.

Mir kam irgendein früherer Magazin-Testartikel zur NC700X in den Sinn, wo meiner Einbildung nach die Rede von einem nicht vorhandenen Überschlagschutz gewesen war. Zudem hatte ich Bilder im Kopf, wo professionelle Testredakteure bei den Bremsmessungen die ABS Fahrzeuge aufs Vorderrad stellen, weil angeblich das System so „grob“ regelt. Keine guten Voraussetzungen, um mal schnell zum Spaß eine Brute-force Vollbremsung auf den Asfalt zu machen.

Die Trainer plausibilisierten mir in Anbetracht meiner Bedenken die Funktionsweise einer solchen Bremsung. Ich habe die technischen Darlegungen verstanden, werde hier aber nichts darüber schreiben, denn es läge mir sehr fern, irgend jemanden zu gefährlichen Aktionen zu verleiten. Ich bin nur Laie. Und dafür gibt es schließlich solche Trainings.

Einer der Trainer führte dann mit der alten Polizei BMW mit I-ABS drei Brutalbremsungen durch: mit 50, 70 und schließlich 100km/h. Und wenn du da daneben stehst, wird dir mal wieder echt schiach. Das ist respekteinflössend, ein Motorrad bei 100km/h mit voller Kraft abzubremsen. Aber es funktionierte. Ratternd und leicht schlingernd, aber ohne Nose-Wheelie, Rauch oder Quietschen kam der 300kg Ofen zum Stehen. Sehenswert.

Als ich dann nach einer Weile dran war, habe ich erst völlig verweigert, weil ich während der Anfahrt zur Bremsung nicht entschlussfähig war und sozusagen den Notausstieg wählte. Es geht dabei um Ex oder Hopp. „Ein bisschen Bremsen“ ist für die ABS-Gefahrenbremsung keine Option, ohne daß ich als Laie jetzt näher darauf eingehen möchte.

Im zweiten Versuch machte ich dann erstmal eine definierte Vollbremsung nach Art des Hauses, also kontrolliert mit Gefühl. Vom Bremsweg her wäre ich damit zufrieden gewesen, aber es war eben keine Gewaltbremsung, sondern nur ein normaler Bremsversuch unter Laborbedingungen. In der Praxis mit allen denkbaren Faktoren ist das keine sichere Sache. Da werden mit großer Wahrscheinlichkeit unter den üblicherweise komplexeren Bedingungen der Realität viele Meter Bremsweg verschenkt.
Nach weiterem Herumgesuder meinerseits und Diskussionen mit den Trainern musste ich dann nüchtern anerkennen, daß die Profis dies bei Hunderten von Motorradfahrern bereits erfolgreich geübt hatten, sie praktisch jedes Motorradmodell kannten und vor allem nicht daran interessiert waren, leichtsinnig Teilnehmerunfälle zu provozieren. Da konnte ich letztendlich vernünftigerweise nicht aus.
Und nicht ganz ohne Stolz kann ich erzählen, daß ich es dann geschafft habe, mein besorgtes „Bremshirn“ kurz zu deaktivieren und bei zunächst 50km/h voll in die Eisen zu gehen, vorne wie hinten. (Ich erinnere mich dabei an ein früheres Rennstreckentraining am Salzburgring vor langer Zeit, wo ein Teilnehmer nach zwei Turns entnervt heimfuhr, weil er nicht damit klarkam, daß es keinen Gegenverkehr gibt, sondern man die gesamte Fahrbahnbreite nutzt, und das mit hoher Geschwindigkeit).

Jedenfalls, was soll man sagen… „unspektakulär“.

Die NC machte nichtmal entfernte Anstalten eines Stoppies, lag in gewohnter Weise ruhig wie ein Baumstamm auf der Strasse, ratterte während der Bremsung ein wenig und stand dann. Dieses harmlose Verhalten erstaunte mich dann doch sehr (wohl wissend, daß die NC generell ein absolut gutmütiges Fahrzeug ist), auch in Anbetracht des Rodeo-Eindrucks, den ich bei der vorhergehenden Polizeivorführung gewonnen hatte.
Und dies war für mich ein gewaltiger Lernschritt, denn es bedeutet, daß ich im Notfall wirklich reflexhaft voll zugreifen kann und mein Kopf dies nun akzeptiert hat. Hier geht es um Notbremsungen in der Praxis, wo jeder Meter zählt, und wo keine Zeit ist, die genauen Straßenbedingungen, Grip usw. vorher noch zu analysieren. Das Wissen um diese Option kann im Extremfall rettend sein. Ohne die Instruktion hätte ich ein solches Experiment niemals gewagt. Mit der WR250R wäre eine ABS-Gewaltbremsung mangels ABS nicht möglich gewesen. Insofern war ich nun wieder froh, die NC dabei gehabt zu haben.
Natürlich folgten mehrere weitere derartige Bremsungen, auch bei etwas höherem Tempo, um die Erkenntnis zu verinnerlichen.

Abschliessend gab es noch Paarbremsungen, wo man seitlich versetzt mit dem eigenen gewohnten Sicherheitsabstand eine plötzliche Bremsung des (Neben-)Vordermanns parieren musste. Da konnte jeder dann noch seine Lehren in Bezug auf den Sicherheitsabstand ziehen.
In einer sehr freundlichen Runde wurden wir dann mit Verweis auf die Wings for Life Stiftung entlassen bzw. zum nächstjährigen Fortgeschrittenentraining am Salzburgring eingeladen. Allerdings würde ich am Salzburgring gerne mit einem Fahrzeug mit mehr Schräglagenfreiheit teilnehmen. Vielleicht doch eine R3 mit ABS?

Update: In diesem Zusammenhang muß ein sehr relevanter Artikel bei Motorradonline erwähnt werden, dessen Lektüre ich unbedingt empfehle.
Also immer vorsichtig bleiben! Beide Bremsen betätigen, um Abhebeerkennung zu ermöglichen. Schwerpunkt tief. Eigenes Motorrad unbedingt kennenlernen.

Eigene Konsequenzen

Seit dem Training fühlt sich die NC subjektiv etwas anders an, obgleich sie mir eigentlich ganz gut vertraut war. Und ich bin jetzt weder Schleicher noch Spaßbremse, aber die Souveränität im Umgang mit dieser Kiste ist gewachsen. Ganz konkret gab es auch einige Einstellungsänderungen: größere Hebelweite am LSL Bremshebel (2 Klicks!): mehr Sicherheit, wenn man wie im Normalbetrieb üblich zwei Finger unterm Hebel hat und sie vor der Notbremsung nicht mehr rausbringt. Dann ein etwas höher einzustellender Fußbremshebel, denn in starken Rechtskurven war die Bremse sonst nicht mehr zu betätigen.

Danksagung

Die Landespolizei wird Fotos von den Übungen verfügbar machen, welche ich dann hier noch passend einfügen möchte.
Ich bedanke mich bei der Salzburger Polizei für dieses sehr effektive, perfekt organisierte und noch dazu kostenlose Fahrsicherheitstraining. Ich danke den Instruktoren für deren hohen Aufwand bei der Vorbereitung und Betreuung des Events. Es ist super, daß so etwas angeboten wird. Falls ihr mich doch mal in Zivil rausgreift, ich werde sicher nicht davonfahren, und ich werde sicher 100% kooperieren 🙂

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